8. März 2016

WKV Stuttgart: 9. & 11.3.2016: KURATORENFÜHRUNG & Veranstaltung „DE-COLONIZING ART INSTITUTIONS?"


WKV Stuttgart: Erinnerung: KURATORENFÜHRUNG + Veranstaltung „DE-COLONIZING ART INSTITUTIONS?"



WKV Stuttgart

Mittwoch, 9. März 2016, 19 Uhr
KURATORENFÜHRUNG

zur Ausstellung
JORGE RIBALTA. MONUMENTMASCHINE
Eine Ausstellung über die Beziehungen zwischen Dokumentarfotografie,
kulturellem Erbe und Nationalismus

Freitag, 11. März 2016, 19 Uhr
PRÄSENTATION + DISKUSSION
De-Colonizing Art Institutions

Eine Veranstaltung von und mit
Dorothee Richter, Ronald Kolb und Studierende des
Postgraduate Programme in Curating
Zurich University of the Arts
Veranstaltung in englischer Sprache

Quelle & Info:

WKV
Württembergischer Kunstverein
Schlossplatz 2
D-70173 Stuttgart
Fon: +49 (0)711 - 22 33 70
Fax: +49 (0)711 - 29 36 17
www.wkv-stuttgart.de








WKV-Plakat



Jorge Ribalta. Monumentmaschine


(WKV-) EINFÜHRUNG:

Vom 20. Februar bis zum 1. Mai 2016 zeigt der Württembergische Kunstverein mit Monumentmaschine die erste Einzelausstellung des spanischen Fotokünstlers, Theoretikers und Kurators Jorge Ribalta (geb. 1963 in Barcelona) in Deutschland.

Ribaltas meist umfangreiche Serien aus analogen Schwarzweißfotografien, die in den Diskursen der kritischen und politisch engagierten künstlerischen Dokumentarfotografie der 1970er-Jahre (Allan Sekula, Martha Rosler, Jo Spence etc.) verankert sind, nehmen eher das Nebensächliche und Unterschwellige, denn das Vordergründige oder Spektakuläre in den Blick. Sie kreisen um national und historisch aufgeladene Orte oder Figuren, um deren Konstruktion durch Medien wie Fotografie und Film, Kultur- und Tourismusindustrie.

Ribalta arrangiert seine Serien, die bis zu 200 Fotografien umfassen, zu dichten räumlichen Ensembles. Angeordnet in mehreren horizontalen und vertikalen Reihen, ergeben sich dabei multiple Lesweisen. Für die Ausstellung im Kunstverein entsteht überdies ein eigens entwickeltes Display, das auch Anschlüsse, Brüche und Kehrtwenden zwischen den Serien erlaubt.

Monumentmaschine zeigt eine Auswahl von sechs Serien, in denen Ribalta die Beziehungen zwischen Dokumentarfotografie, kulturellem Erbe und Nationalismus untersucht. Es geht um die Frage, welche Rolle Monumente und die heutigen Kulturerbeindustrien im Hinblick auf die Reproduktion und Verinnerlichung nationalstaatlicher Identitäten, Ideologien und Fiktionen spielen – und welche Bedeutung der Fotografie dabei seit ihrer Erfindung zukommt.

Die Ausstellung basiert auf der gleichnamigen, vom Centro Guerrero in Granada und der Fundación Helga de Alvear in Cáceres koproduzierten Einzelschau, die die Serien Unbezähmter Laokoon (2010–11), Scrambling (2011), und Imperium (oder K.D.) (2013–14) umfasst.

In diesen drei Arbeiten geht es um Ikonen und Monumente, die, wie der Flamenco, die Alhambra oder Karl V., das „Spanische“ schlechthin repräsentieren – wobei gerade der Flamenco, der seine Wurzeln in den Kulturen der Roma bzw. Kalé hat, sowie die Alhambra, die von der Zeit der muslimisch-maurischen Nasridenherrschaft in Granada zeugt, eigentlich auf die transnationale Vermischung kultureller Identitäten verweisen. Karl V. (1500–1558), erster König von Spanien und Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, steht wiederum für die imperialistische Expansion Spaniens als jenes habsburgische Weltreich, in dem „die Sonne nie untergehen“ sollte.

Darüber hinaus zeigt die Ausstellung die Serien Renaissance. Szenen des industriellen Wandels im Bergbaurevier von Nord-Pas-de-Calais (2014), Petit Grand Tour (2007), und Carnac, 1. August 2008 (2008). Der Wandel von der Schwer- hin zur Freizeit- und Kreativindustrie sowie die touristische Konstruktion und Vermarktung von Antike und Prähistorie stehen hier im Vordergrund.

Historische Referenzen

Die Fotografie steht seit jeher im Dienst von Denkmalpflege und nationalem Kulturerbe. Als Ausgangspunkt gilt dabei die 1851 von der französischen Commission des monuments historiques unter Vorsitz von Prosper Mérimée – dem Autor von Carmen (1845), jenem Roman, der bis Heute Stereotypen des „Spanischen“ und Flamencos erzeugt – in Auftrag gegebene Mission Héliographique: eine umfangreiche fotografische Erfassung und Katalogisierung der historischen Denkmäler und Monumente Frankreichs.

Die Mission Héliographique wurde zum Vorbild für zahlreiche weitere Projekte dieser Art: darunter auch das berühmte, in den 1930er-Jahren durchgeführte Fotoprogramm der Farm Security Administration (FSA) in den USA. Dieses bezog sich bekanntlich nicht auf Monumente, sondern zielte auf eine soziale Kartografie – eine Kartografie der ländlichen Armut – im Geiste des New Deals ab, jenem sozialen und ökonomischen Reformprogramm, das in Folge der Weltwirtschaftskrise etabliert wurde. Das Fotoprojekt der FSA sollte, mit KünstlerInnen wie Dorothea Lange und Walker Evans an der Spitze, prägend für die frühen – mittlerweile weitgehend in Frage gestellten – Diskurse der Dokumentarfotografie als Garant von Transparenz und Wahrheit werden.

Ein zeitgleiches Äquivalent der Mission Héliographique stellte das Werk des britischen, in Spanien ansässigen Fotografen Charles Clifford dar, der zwischen 1854 und 1864 eine umfassende fotografische Dokumentation der historischen Stätte und Monumente Spaniens anfertigte und diese unter anderem in der Publikation A Photographic Scramble through Spain veröffentlichte: Ein Touristenführer über Spanien, der sich an ausländische (insbesondere britische) BesucherInnen wandte und der die Alhambra als Höhepunkt des spanischen Kulturerbes feiert.

Ansätze

Jorge Ribaltas Praxis und theoretische Auseinandersetzung mit der Dokumentarfotografie setzt an dieser Nähe zwischen Fotografie, Kulturgut und den Fiktionen von nationaler Identität an. Seine Fotografien zielen weder auf Transparenz noch Wahrheit ab, sondern untersuchen die der Fotografie – als Technik, Maschine und kulturellem Apparat – innewohnenden Strukturen der Bedeutungsproduktion. Seine fotografischen Annäherungen an Monumente und nationale Ikonen bilden Anti-Monumente und Anti-Ikonen, indem sie zum Beispiel die Infrastrukturen und den Betrieb „hinter den Kulissen“ dieser Schauplätze – von den ArbeiterInnen und diversen Arbeitsstätten bis zu den Marketingstrukturen der Kulturindustrie – hervorheben. Es geht um das Monument als Maschine und um die Betrachtung der Funktionsweisen und Effekte dieser Maschine.

Ribaltas Arbeiten bestehen aus dichten Serien von kleinformatigen Abzügen. Nicht das einzelne, in sich abgeschlossene Bild steht im Vordergrund, sondern das, was sich zwischen den Bildern ereignet. Aby Warburgs unvollständig gebliebener Atlas Mnemosyne (1924-1929) dient ihm dabei ebenso als Referenz wie die etwa zeitgleich entstehende Faktografie-Theorie von Sergei Tretjakow. Nach Tretjakow ist es nicht nur die Unterbrechung von Bewegung, die es der Fotografie erlaubt, komplexe soziale Zusammenhänge aufzuzeigen, sondern bedürfe es hierzu auch der Anordnung in Serien, der Herstellung von Beziehungen zwischen den Bildern.